nichts gegen teebeutel

keiner male mehr figürlich! art-brut müsse man machen und eigentlich sowieso nur noch konzept-malerei! erklärte mir der schauspieler, der neuerdings auch maler war, als er mich im atelier besuchte.
über meine zweifellos figürlichen bilder an denen ich arbeitete verlor er kein wort. ich sparte mir den hinweis, dass auch seine bilder weder art-brut noch konzeptkunst waren und auch sein neuster plan, dinosaurier zu malen, klang wenig abstrakt.

aber der schauspieler hatte recht. figürlich ist seit jahren so out wie seit den siebzigern nicht mehr. zur konzept-malerei kann ich nicht viel sagen, das können andere besser.
zur figürlichkeit, in hamburg seit beginn der neunziger schon wieder schwerstes tabu, fällt mir mehr ein. hier mal meine abstraktionsgeschichte:

als kind war ich natürlich wie alle anderen kinder weitestgehend figürlich. ich war ein artiges kind, wenn auch meinem vater nie artig genug. um nicht mit den anderen kindern reden zu müssen sass ich im kindergarten die meiste zeit in der malecke. zuhause malte ich auch, hier in erster linie um meine mutter glücklich zu machen. das klappte zwar mit der zeit immer seltener, bei mir selbst dafür aber umso besser.

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mit 13 verkündete ich zum bedauern meines vaters meinen feststehenden berufswunsch: künstlerin. ich holte mir lehrbücher aus der bücherei und übte schonmal zeichnen. aquarellierte meine topfpflanzen und malte mein erstes ölbild: eine hommage an van gogh, von dem ich fan war. die farben ungemischt, direkt aus der tube: eine ägyptische pyramide in gelb.

3 jahre später entdeckte ich jackson pollock und joseph beuys. ich sah keinen sinn mehr darin, schöne bilder zu malen. ich war jetzt 16, trug die haare lila und tat alles dafür um möglichst künstlerin-lookalike rüber zu kommen: ich bespühte die wände meines zimmers mit goldlack, malte pornos oder foltergeräte oder benutzte die fotos meiner eltern von saufgelagen mit den nachbarn als vorlagen.

bis ich mich mit 23 an der hamburger kunsthochschule einschrieb arbeitete ich am formverlust. klebte collagen aus pornos, kippen und teebeuteln und fabrizierte abstrakte schmierereien aus lack, öl und tippex auf papier. die hälfte davon bekifft, die musste ich anschliessend aussortieren.

an der hochschule traf ich viele andere maler. aber schon ein paar semester später hatte man den meisten die malerei ausgetrieben. leute die sich mit landschaftsquarellen oder katzenportraits beworben hatten erklärten sich am ende ihres studiums zu wissenschaftskünstlern oder hatten vorher aufgegeben.

in meinem arbeitsraum gab es eine malerin, die immerfort betonte, dass sie bereits ein abgeschlossenes studium der malerei und kunstgeschichte hinter sich und deswegen sehr viel ahnung von allem habe. über meine schmierereien konnte sie nur mit dem kopf schütteln was sie auch nie müde wurde zu tun.
ich konnte also unmöglich weiter so ahnungslos vor mich hin pinseln und wandte mich stattdessen einfach neuen disziplinen zu: der plastik und installation.

hier blieb ich zunächst jedoch noch halb-abstrakt. es war die zeit zwischen post human und sensations, ich kannte die saatchi künstler schon aus london wo ich vor dem studium ein jahr verbracht hatte. die heldInnen damals waren eva hesse, matthew barney , anna oppermann, dieter roth und natürlich louise bourgeois auf deren konto wohl auch meine strumpfhosenkunst dieser zeit geht.

aber dieses halbabstrakte war ein fass ohne boden. ich hatte das gefühl, ewig und haltlos so weiter dödeln zu können, ohne irgendwo zu landen. ich wollte inhalte. nicht im sinne des konzept-kultes der hfbk, beeinflusst von einer in den sechzigern geprägten, rein männlichen professorenschaft. was brachte es mir, alten männern nachzueifern? konzeptkunst war hier mainstream und nur ihr anblick langweilte mich schon mehr als meine seifenpenisse. ich wollte geschichten erzählen, meine eigenen geschichten.
die rückkehr zur figürlichkeit kam knall auf fall.

seit 1995, das jahr in dem ich auch meinen sohn bekam, arbeite ich figürlich.

kommilitonen, die den arbeiten damals etwas abschätzig „volksnähe“ attestierten, musste ich, abgesehen von der überheblichkeit des begriffes, recht geben: ich hatte nie was gegen „volksnähe“. ich stamme aus kleinbürgerlichem hause, das nie viel mit den grossen entscheidungen in meinem leben anfangen konnte. weswegen ich es auch nie nötig hatte, mich explizit um abgrenzung zu bemühen. das geschah schon ganz von selbst.
sicher wäre es mir immer lieber gewesen, ein bischen mehr verstanden worden zu sein. weil das aber zumindest von meinem eigenen „volk“ nicht zu erwarten war konnte ich von jeher machen was sich wollte: figürlich oder abstrakt, das machte keinen unterschied.

ich kann die faszination für teebeutel oder zigarettenkippen verstehen. die rückkehr zur figürlichkeit eröffnete mir jedoch möglichkeiten, die ich mit teebeuteln nie hatte. sie war meine initiation nach einer langen, anstrengenden, abstrakten pubertät.