hamburg

ein grund dafür dass ich immer noch in hamburg bin obwohl zwei drittel meiner bekannten und freunde längst weggezogen sind, war meine wohnung am kuhberg. vor 15 jahren, mein sohn war gerade geboren, bezogen wir diese kleine altbau-wohnung im portugiesenviertel an den landungsbrücken. im 4ten stock, direkt am stintfang, blicken wir direkt auf den alten elbpark, mit spechten, eichhörnchen und kaninchen als nachbarn. und wir können den hafen sehen, die kähne und das wasser. so eine wohnung, dachte ich, bekommt man nie wieder.

vor 8 jahren las ich in der zeitung zufällig von einem architekturwettbewerb, den die stadteigene sprinkenhof ag ausgeschrieben hatte und dessen gewinner auch schon feststand: ein 9-geschossiges hochhaus in form eines geblähten segels von dinse feest zurl. etwa 3000 qm bürofläche sollten direkt vor unserer nase zwischen die beiden bahnhofseingänge geklemmt werden.

es gab auch schon den passenden mieter: die rennomierte hamburger körber stiftung brauchte neue büros.

obwohl 2003 in hamburg über 700.000 qm büroraum leerstanden und die hafencity ein paar hundert meter weiter gerade gebaut wurde fand hamburg es schlüssig, sein historisch geprägtes hafenviertel mit einem 37 meter hohen büroturm „verschönern“.
dass der flächennutzungsplan dieses letzte grüne stück des alten hamburger wallrings als grünfläche auswies, auf der maximal 2-geschossig gebaut werden durfte, sowas lässt sich ja alles ändern.
kulturbehörde und das denkmalschutzamt stimmten dem bauvorhaben ausdrücklich zu.

weil ich befürchtete, dass kaum jemand diesen fingernagelgrossen zeitungsartikel gelesen hatte schieb ich ein flugblatt auf dem ich die ganze misere nochmal zusammenfasste und zu einem anwohnertreffen in den räumen der jugendherberge aufrief. das druckte ich auf meinem tintenstrahldrucker hundert mal aus, schnappte mir eine rolle tesafilm und meinen damals 8-jährigen sohn und beklebte mit dessen hilfe alle haustüren im viertel. wir nannten uns „anwohnerinitiative hafentor“.

es folgten viele mails, briefe, pressetexte und noch mehr flugblätter. der harte kern unserer ini, die sich seit dem ersten treffen gebildet hatte, bestand aus ungefär 10 leuten, die sich regelmässig im wohnzimmer meiner nachbarin trafen und sich betranken überlegten, was als nächstes zu tun war. an unserer hauswand flatterte ein bettlaken auf dem stand: „kein hochhaus am stintfang!“
wir gingen zu stadtplanungsausschusssitzungen und bezirksversammlungen, sassen in der besucherecke, hielten unsere protestschilder hoch und stellten in der sog. „öffentlichen fragestunde“ artig unsere vorformulierten fragen.
ausser uns gab noch eine weitere initiative, die IG „Rettet den Stintfang“, eine gruppe aus hoteliers und reedern die sich einen recht rennomierten und fähigen anwalt leisteten und uns immer gut auf dem laufenden hielten.
die entscheidende nachhilfe in bezirkspolitik kam allerdings von einem mitglied der gal-bezirksfraktion, der mich ausgiebig mit baugesetzbuchkopien, verordnungen über fahrradstellplätze und anderem unlesbarem zeug versorgte. die sache fing an spass zu machen.

die körber stifung stellt sich auf ihrer webseite so vor:
„Bürgerinnen und Bürgern, die nicht alles so lassen wollen, wie es ist, bietet sie Chancen zur Mitwirkung und Anregungen für eigene Initiativen.“
das passte doch. wir schrieben also einen höflichen brief an den vorstand und legten unseren stadtpunkt dar mit der bitte um ein gespräch. die antwort kam spät und war deutlich: man hielte es „für nicht zielführend“ gespräche „abseits des offiziellen weges“ zu führen.
man unterstütze das bauvorhaben „nach kräften“ und meine, dass man “als regional, national und international tätige organisation” durchaus in ein viertel mit historisch gewachsenen, urbanen strukturen passe.

ein paar wochen später ergab sich eine möglichkeit zumindest indirekt nochmals in kontakt zu treten: das abendblatt berichtete von einem geplanten galadiner im hotel atlantic, zu dem die körberstiftung ihre mitglieder eingeladen hatte. zwei von uns stellten sich also im regen vors hotel und gaben den gästen was zum lesen mit.

im frühjahr 2004 stand dann der letzte schritt vor baubeginn an: die 4-wöchige öffentliche planauslegungsphase. während dieser zeit können bürger einsicht bekommen in die neuen pläne und nochmals bedenken äussern oder fragen stellen, auf die die behörde eingehen muss.
weil die zeitungen kaum darüber berichteten mussten wir also selbst tätig werden und stellten uns auf die strasse, direkt vor das baugrundstück. jeden, der vorbei kam, fragten wir: „wissen sie schon, dass hier ein hochhaus hin soll? was halten sie denn davon?“
um es den leuten mit den schriftlichen einwänden beim bezirksamt so leicht wie möglich zu machen hatten wir die briefe schon vorformuliert. es gab 10 verschiedene versionen und von jeder version 49 exemplare.
der grund für diese etwas seltsamen zahlen steht gewissermassen im baugesetzbuch: ab einer anzahl von 50 inhaltlich ähnlichen einwänden kann das zuständige bezirksamt eine sammelantwort veröffentlichen.
man glaubt garnicht, was es für einen spass machen kann, 490 briefe zu falten, in umschläge zu stecken und zuzukleben.

4 tage vor ende der planauslegung zog körber das vorhaben überraschend zurück. im abendblatt sagte der vorstandschef, dass es allerdings nicht an den anwohnerprotesten gelegen habe – und ich glaubte ihm aufs wort.

das ist jetzt wie gesagt 8 jahre her. die ordner mit den alten briefen und sitzungsprotokollen stehen seitdem auf dem dachboden. und es ist nicht so, dass ich es nicht befürchtet hätte, dass es irgendwann wieder losginge, aber dann ging doch alles viel schneller als geahnt.

es fing an mit einem besuch. ein herr mit akten im arm, stand bei uns vor der tür: er sei beauftragt worden ein „stimmungsbild“ im viertel zu erstellen und zwischen anwohnern und euroland, dem neuen besitzer des grundstückes am hafentor zu „vermitteln“.
er habe gehört, ich sei damals recht aktiv gewesen und ob ich wohl vorhabe, das, was ich damals vor 8 jahren gemacht hatte, noch weiterzuführen.
ich bat ihn herein und liess mir das projekt erklären. von sozialem wohnungsbau war die rede und einer landkartensammlung, gewissermassen als „filiale“ des museums für hamburgische geschichte. er zeigte mir die pläne. das gebäude sah aus wie ein riesiger assymetrischer wahllos zusammengeklopper stapel aus dreiecken. diesmal zwar nicht 9 geschosse sondern 2 weniger, dafür aber auf einer fläche, so lang wie die ganze straße und noch darüber hinaus, über den eingang des s-bahn hofes hinweg, den kuhberg hoch. offenbar hatte man versucht, die „verlorenen“ zwei stockwerke seitlich anzupappen.
ich war vollkommen entsetzt. „wenn ich mir diesen schrott jeden tag ansehen muss ich jeden tag kotzen,“ sagte ich und der vermittler erwiderte erschrocken: „nein nein, das ist ja nur ein entwurf, das steht doch alles noch garnicht fest.“ ausserdem lege euroland wert auf ein friedliches auskommen mit den anwohnern und da liesse sich im rahmen eines worshops sicher etwas erarbeiten.

ein paar wochen später dann die einladung zur „stadtteilkonferenz“. auf der tagesordnung ein punkt: das „wohnprojekt am hafentor“ (ich definiere den begriff „wohnprojekt“ ja eher so wie die wikipedia aber ok).

die stadtteilkonferenz war im vergleich zur öffentlichen anhörung 2003 auffallend schlecht besucht. damals kamen mehr menschen als stühle dort waren (ca. 200 stand später mal in irgendeiner zeitung) zur stadtteilkonferenz kamen vielleicht 50 und es wurde auch in keiner zeitung darüber berichtet.

vorstandsmitglieder von euroland und der architekten wechselten sich ab. der ganze vortrag war ein einziger versuch, möglichst wenig anzuecken. das gemeinnützigkeits-alibi war, seitdem der „stimmungsbild-einholer“ davon erzählt hatte, sogar noch ausgebaut worden. an stelle des langweiligem sozialen wohnungsbau hatten sie sich jetzt die stiftung alsterdorf ins boot geholt mit wohnraum für menschen mit behinderungen. auch den kultur-aspekt hatten sie verstärkt: neben der landkartensammlung ist auch eine neue galerie für die schlumper geplant. also das volle programm.

nur die obersten vier geschosse passen nicht so ganz ins wohltätigkeitskonzept. hier entstehen wohnungen zu einer hälfte gefördert, zur anderen nicht. auf nachfrage eines anwohners, was die denn kosten werden, hiess es: zwischen 13 und 15 € pro quadratmeter. „irgendwie müsse man das ganze ja auch finanzieren.“

als der gebäude-entwurf gezeigt wurde wurde ich hektisch. es handelte sich um exakt den selben „vorläufigen“ entwurf, den mir der „vermittler“ gezeigt hatte. geändert hatte sich nichts. im gegenteil, es wurden etliche simulationen gezeigt von ansichten, die verdeutlichen sollten, wie gut sich das futuristische ding ins stadtbild einfüge. der anwesende architekt bezeichnete das werk seiner kollegen als „kristallinen körper“.

die architekten sind tatsächlich wieder dieselben, die auch das „geblähte segel“ für körber entworfen hatten und ich nahm mir vor, später am abend meinen mann (gelernter architekt) mal zu fragen was architekten eigentlich für probleme mit gebäuden haben.

die simulationen zeigten jeweils bilder ohne – und mit neuem gebäude. die perspektiven waren entweder so gewählt, dass das grundstück eh nur aus größter distanz gezeigt wurde oder von schräg oben. es gab jedoch kein einziges bild, was das gebäude frontal, vom grundstück gegenüber oder von anderen standorten der betroffenen nachbarn gezeigt hätte.
trotzdem waren die simulationen durchweg schockierend. und soviel gemeinnützigkeit der neue besitzer auch bemüht hat: liebe hamburger, euer rundumblick von eurer aussichtsplattform am stintfang gehört demnächst schon der vergangenheit an.

bauprojekt am hafentor stintfang

ebenso zweifelhaft wie die stadtbildlichen simulationen war auch die behauptung, es käme zu keiner verschattung. das hafentor ist gerade mal eine einspurige strasse und der kuhberg ist nicht mal eine strasse sondern nur ein fussweg. dort wo uns bisher bäume gegenüber standen, von denen dem es im sommer immer mirabellen regnet, soll jetzt nur ein paar schritte entfernt eine wand stehen. jeder hinterhof ist heller.

ein weiteres thema des vortrages waren die vermeindlichen schandflecke rund um den bahnhofsvorplatz: die „pinkelecke“ neben dem bahnhofsgebäude, der verkommene weg, den keiner nutzt, und auch die behindertenunfreundlichkeit der bahnhofseingänge wurde angesprochen. bei körber war es der heruntergekommene park, der kaum genutzt wird. dies alles würde jetzt natürlich besser werden.

dass es auch andere möglichkeiten gibt, eine pinkelecke loszuwerden (zb. indem man öffentliche toiletten baut) oder einen ungenutzten weil ungepflegten und unbeleuchteten park zu beleben, darauf scheint noch niemand gekommen zu sein.

hamburgs regierung hat das grundstück und den park jahrelang bewusst verrotten lassen. und ich bin überzeugt, dass das methode hat. irgendwann wird schon ein investor kommen, die sanierung übernehmen und es im selben zug so aussehen lassen, als täte die stadt mit ihrem totalausverkauf den menschen noch einen gefallen.

aber zurück zu euroland. euroland gibt sich mühe. und ich muss zugeben, die beiden vorstandsmitglieder waren mir wesentlich sympatischer als die arrogante körber stiftung.
zumindest behaupten sie nicht nur, gesprächsbereit zu sein. der vom “vermittler” erwähnte “workshop” wird offenbar tatsächlich stattfinden. wieviel von dem gerede über mitbestimmung dabei allerdings ein fake ist, um anwohner davon abzuhalten, wieder mit protestschildern in die bezirksversammlung zu ziehen, das wird sich zeigen.

auch ob am ende echte kompromisse möglich sind, daran kann ich angesichts des übertriebenen volumens des geplanten gebäudes noch nicht so richtig glauben. euroland pokert viel zu hoch. selbst wenn sie bereit wären, noch ein oder zwei geschosse zu streichen, das wäre immer noch meilenweit von dem entfernt, was ich mir wünschen würde.

euroland konzentriert sich innerhalb der diskussion auf die nutzungsfrage, die ist aber ja nun ziemlich undiskutierbar. wer hat schon was gegen behindertenfreundliches wohnen. da gäbe es eigentlich nur einen punkt, der zu beanstanden wäre: mieten von 13-15€ sind wuchermieten – punkt. darum ging es den anwohnern aber nie. von anfang an ging es in erster linie um das gebäude ansich.

wenn man im viertel mal herumfragt, was die menschen sich wünschen, es heisst: „wieso kann das gebäude was dort schon steht nicht einfach stehen bleiben?“ oder „nichts gegens neubauen aber bitte nicht größer als das was da schon steht.“
wenn man jedoch in betracht zieht, dass euroland das gelände zum höchstpreis ersteigert hat, kann man sich denken, dass das so nicht passieren wird.

ich habe meine ganz persönliche empfindung beim anblick des entwurfes auf der stadtteilkonferenz nochmal wiederholt. etwas weniger vulgär vielleicht: „wenn ich in zukunft aus dem fenster seh und immer auf ihren „kristallinen körper“ blicken muss muss ich wohl wegziehen“.

ich bin in hamburg geblieben wegen meiner wohnung und weil berlin keinen hafen hat. bald hat meine wohnung auch keinen hafen mehr, da kann ich auch genauso gut nach berlin gehen.