Beisetzungsrede für Claus Böhmler

von Peter Lynen
am 17.03 2017, Hamburg-Ohlsdorf, Kapelle 2

20 Jahre nach Martin Kippenberger, 19 Jahre nach Dieter Roth und 11 Jahre nach Tomas Schmit ist der grosse WORT-BILD-Künstler Claus Böhmler gestorben.
Da Claus mit ähnlicher Hingabe, wie er seine eigene Kunst betrieb, mit seinen Studenten zusammenarbeitete, bat mich Elke, hier ein paar Worte zu sagen.
Für diejenigen, die mich nicht kennen: ich heisse Peter Lynen und war von 1992 bis 2002 Student bei Claus Böhmler.
Es fällt mir schwer für einen so frohgesinnten Menschen eine Trauerrede zu halten.

WORT-BILD-Künstler – das hätte er wahrscheinlich so nicht unterschrieben, da wir beim Zählen an einem stillen Nachmittag doch auf die 70 (in Worten siebzig) Sinne, die uns als Menschen zur Verfügung stehen, gekommen sind.
In Anbetracht dessen wäre ihm die Beschränkung auf einen eh nicht sonderlich geliebten Dualismus zu wenig gewesen.

Als ich im Jahr 92 das erste mal die Klasse von Claus Böhmler betrat, erblickte ich einen laborartigen Raum voller Kabel, Oszillographen und Lötstationen – überall standen Gefäße mit komischen Flüssigkeiten. Zwischen den halbverdauten Fernsehern lagen hier und da einzelne Elektrobauteile rum, hinten an der Wand stapelten sich etliche Staubsauger aus verschiedenen Generationen. Ein Geruch von Schwefel lag in der Luft.
Man hatte das dumpfe Gefühl, hier wolle jemand das Fernsehen mit einem Staubsauger kreuzen.
Das Ganze getreu nach dem Paik’schen Motto:
WHEN TOO PERFECT LIEBER GOTT BÖSE.

Inmitten dieses kreativen Chaos’ stand Claus Böhmler, vollbärtig mit langem zum Dutt gebundenem Haar, irgendwie zwischen Sufi Derwisch und othodoxem Metropoliten.
Er stand an einem über und über bezeichneten Tisch und erklärte die Unterschiede in den Soziolekten der Blaumeise anhand von fachkundig selbstproduzierten Vogelgezwitscher.
Während die anderen an ihren obskuren Maschinen bastelten, unterhielt er sich mit sich selbst in verschiedenen Meisendialekten, bei denen er manche auch nicht so gut verstand.

In den Pausen rauchte er seltsame russische Zigaretten, die sich erst beim zweiten Blick als die legendäre Doppelfilter Zigarette herausstellten. Diese hat viele Vorteile 1. gesünder – 2. sparsamer.
Im höheren Alter wurde dann daraus die dreifach Filterzigarette: 1. noch gesünder – 2. noch sparsamer.

Der doch recht ungestüme Umgang in der Klasse mit der Prima Materia hatte auch einige Folgen:
Erst kam es durch eine Schwefelverpuffung zu einem Brand in der Gipswerkstatt, was Claus mit den Worten in Bezug auf die völlig verqualmte benachbarte Leichtbauflieger-Klasse von Günther Rochelt kommentierte mit: DA RÖCHELT DER ROCHELT.
Dann wurde die Klasse für eine Zeit lang aus versicherungstechnischen Gründen ganz geschlossen.
Also wurde der Unterricht ins nahe gelegene türkische Restaurant Baris verlegt, wo es am Nachmittag einen heissen süssen Tee und am Abend ein schönes kühles Bier gab.

Im Unterschied zu anderen Arbeitsbesprechungen, wo man seine fertigen Arbeiten zeigte, um sie einzuordnen oder ihr Potenzial zu erkennen, ging es bei Claus immer um das direkte Produzieren, um das JETZT. In Anlehnung an die stets geschätzte Improvisation von Jazzmusikern glichen seine Arbeitsbesprechungen eher Jamsessions.

Zu diesem JETZT hat er auch viele lyrisch, klug, fröhliche Bildtitel gemacht, wie z.B. ATMEN JETZT! oder INSTANT ABER SOFORT! oder auch EN VOGUE IST WIEDER IN!

Das Material der Jamsessions bestand eigentlich aus so gut wie allem: aus mitgebrachten Werken, Tonbandaufnahmen, Hintergrundlektüren, existierenden und neu erfundenen Musikinstrumenten, Fundstücken aller Art, Videofilmen und fremden Kunstproduktionen und immer wieder Fellini, Walt Disney und sein alter Herr Joseph Beuys.
Aufgezeichnet wurde mit Foto, Video und Diktiergerät, aber vor allem mit den sogenannten Gesprächszeichnungen.

Er nannte zeichnen DAS TÄTIGE DENKEN. Die Zeichnungen hatten trotz ihres analytischen Anspruchs und der Geschwindigkeit, mit denen sie hergestellt wurden, immer etwas Liebevolles, Knuffiges.
Die Welt, die sie zeigen, ist eine fröhlich beschwingte – sofort fotokopiert als sprechende Zeichnung – DU MIT NACHHAUSE NEHMEN.

Wenn ich montags um 16.30 Uhr die Tür von K43 öffnete, war stets ungewiss, welche Szenerie sich dahinter verbarg, da alles aus der spontanen Interaktion entstand.
Allen voran Claus Böhmler, der in Hochform mit seinen Haken, Neuschöpfungen und Wortverdrehungen zum Lokführer einer Theorieachterbahn mutierte.
In beiden Händen mit Nagelschachteln als Samba Rasseln bewaffnet beschleunigte er den Beat der Worte und Gedanken, mit denen wir durch die Unwegsamkeiten der Populärkultur und Geistesgeschichte rasten.
Lechts und Rinks mäanderten die Assoziationsketten durch den Raum und gaben uns die tiefe Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Die Frage ist nur wie.

Eines von Claus Böhmlers vielen unerwarteten Talenten war die Schauspielkunst, allen voran die Parodie: Einmal parodierte er einen hochverehrten Professorenkollegen.
Dazu nahm Claus seine Brille von der Nase und hielt sie solange über eine rußende Kerze, bis sie ganz schwarz war. Dann zog er sie wieder an, schaute mit schwarzer Brille in die Runde und sagte:
STANLEY BROUWN.
Dazu muss man wissen, daß Stanley stets eine Sonnenbrille trug, auch im Winter, auch in der Nacht.

Den Rest des Nachmittags war er Stanley Brouwn – was zu einigen Sichtproblemen führte, insbesondere, da sich einige jüngere Studenten für die Klasse vorstellen wollten.
Um sich vorzustellen, mussten sie nun ihre Arbeiten solange mit Worten beschreiben, bis sich der „blinde“ Claus via Gesprächszeichnung ein Bild davon gemacht hatte.
Sie konnten auf den Zeichnungen sehen, welches übersetzte Bild aus ihren Erzählungen entstand.
Der geblendete Kunstprofessor war, glaube ich, ein bleibendes Erlebnis für die Beiden.

So hatten Claus’ auf den ersten Blick lustige Aktionen immer auch einen sehr tiefen Kern, was er in dem KREUZ WORT BILD LUST–TIGER VERS–SAGER bzw. LUSTIGER VERSAGER mal verdichtete; oder
KOMMT EIN ZYKLOP ZUM AUGEARZT.

An animation a day keeps the doctor away

Eine meiner Lieblings-live-Wiederbelebungen war:
eine junge Studentin hatte kleine, ganz zarte weiße FIMO-Skulpturen gemacht. Sie war ganz unzufrieden und wollte sie zerstören und wegschmeissen.
Claus sagte: nein warte, vielleicht können wir noch was Brauchbares daraus machen. Sie sagte: also gut….
Nach kurzem Zögern schlug er mit der Faust die Skulpturen platt und knetete sie zu einem länglichen Rechteck. Alle waren ob der Vehemenz und der Geschwindigkeit völlig überrascht und sahen ihn mit offenem Mund an.
Er nahm das weisse Rechteck und steckte es sich in seinen damals recht zahnlosen Mund.
Mit seinem neuen FIMO-Gebiss lächelte er und sagte: jetzt machen wir ein Foto für deine Eltern zu Weihnachten.
Diese Geschichte erzähle ich eigentlich immer bei der Frage, was kann ein Kunstprofessor seinen Schülern beibringen.

Gegen Mitte/Ende der 90er Jahre veränderte sich Claus’ Themen Schwerpunkt – weg vom Technischen hin zum Religiösen. Er beschäftigte sich viel mit den schon erwähnten Sufis.
Im Studium der Weltreligionen wurde die ostasiatische Philosophie der vollkommenen Gegenwart wichtiger.
Zitat: IM AUGENBLICK ERWACHT DAS SELBST was ja auch seinen Vorstellungen vom Spontanen und dem JETZT entsprach. In der Klasse waren jetzt viele Südkoreaner und Japaner.

Einer von ihnen, Dongjo, erklärte uns, wo der Staub im Raum oder wo der Fisch im Wasser ist:
nämlich erstens da, wo er liegen bleiben kann und zweitens da, wo es was zu fressen gibt.
Danach lud er Claus und mich zum Essen ein und zeigte uns, wie JETZIG ein JETZT sein kann.

Wir gingen also zur Alster. Dort packte Dongjo aus seiner Aktentasche die praktische Klappangel aus und hielt sie ins Wasser. Nach etwa einer Viertelstunde biss der erste Fisch an. Dongjo zog ihn raus und holte aus seiner Tasche eine Tupperware mit roter scharfer Soße und ein sehr langes noch schärferes Messer heraus.
Er schnitt dem noch lebenden Fisch ganz feine rosafarbene fast durchsichtige Scheibchen heraus rollte sie gekonnt zusammen und gab sie uns in die Hand, damit wir sie in die Soße tunkten und aßen. Damit wir etwas Vertrauen bekamen, machte er es uns vor.
Das Erstaunliche war, daß der Fisch weder zappelte noch blutete, er lag wie betäubt atmend im Gras und wartete geduldig, bis Dongjo ihm die nächste Scheibe herausschnitt.

Diese Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, von Geselligkeit und Schicksal; der noch lebenswarme Fisch in der Mundhöhle machte aus diesem Augenblick einen magischen Moment an der doch so vertrauten Alster.

Einige Fische später trennten wir uns und gingen hinaus in die Nacht. Am nächsten Tag

Da dies eine Rede für Claus Böhmler ist hat sie kein Ende.
Danke.