die „daily irgendwas“ methode

mein ganzes leben lang gab es immer mal wieder gründe, verschiedene gründe, warum ich keine kunst machen konnte. das waren kurze phasen, längere phasen, einmal war ich auch schon drauf und dran, die kunst komplett an den nagel zu hängen.

manche nennen das ja wohl „schaffenskrisen“, aber mir ist der begriff zu pathetisch. er kommt aus der gleichen ecke wo auch der glaube herkommt, dass man nur gute kunst machen kann wenn man leidet. 

bei mir verläuft so eine schaffenskrise jedenfalls deutlich unspektakulärer als es klingt. denn natürlich arbeite ich währenddessen weiter. auch wenn nichts dabei raus kommt geh ich weiter ins atelier. manchmal muss man auch mal mist produzieren, irgendwann kommt man schon wieder rein.
so hab ich es zumindest immer gehalten.

meine letzte große krise fing im ersten coronajahr an. wenn ich mir meine arbeiten von 2020 ansehe kann man das, wie ich finde, auch ganz gut erkennen.

damals hätte ich eigentlich garnicht zuhause bleiben müssen, weil ich auf meinem weg ins atelier eh niemandem begegne, aber irgendwie fühlte es sich trotzdem besser an, zuhause zu bleiben. 

das problem dabei war, dass ich es eigentlich immer abgelehnt habe, zu hause zu arbeiten. auf dem weg zum schreibtisch kommt man einfach an zuvielen baustellen vorbei, von denen manche scheinbar sogar eine größere dringlichkeit besitzen, als mit farben herum zu planschen.
im atelier dagegen bleibt einem garnichts anderes übrig, als kunst zu machen, weil es dort nichts anderes gibt. 

während corona begann ich diese überzeugung aber neu zu überdenken. so mit über 50 merke ich zum beispiel, dass mir meine deutsche arbeitsmoral langsam abhanden kommt. 20 jahre psychotherapie haben vielleicht doch was gebracht, sodass ich meinen inneren feldwebel auch mal ignorieren kann. 

so blieb ich also erstmal zuhause und versuchte trotz des hohen ablenkungspotentials etwas hinzukriegen.

als ich im zweiten coronajahr dann das erste mal wieder ins atelier fuhr hatte sich dort einiges getan. ein nachbar hatte sich zwei riesige kangals angeschafft, die das gesamte erdgeschoss bewohnten. also auch das treppenhaus, den hinterhof, überall wo ich durch musste um in meine räume zu gelangen. die hunde waren nie angeleint und alles andere als erzogen. wenn man die haustür aufschloss kamen einem diese zwei zentnerschweren tiere sofort entgegen und taten ihre skepsis kund, was mann denn hier zu suchen hatte.
während ich dann versuchte, mein fahrrad anzuschliessen besprang mich einer dieser 70 kilo kolosse von hinten, die pfoten auf meinen schultern, auf zwei beinen stehend war er größer als ich. die beiden folgten mir dann noch bis zur ateliertür im 4. stock.
meinen eigenen kleinen hund konnte ich unter diesen bedingungen jedenfalls nicht mehr mitbringen, und ohne ihn wollte ich auch nicht gehen. 

irgendwann war das kangal-problem gelöst, der nachbar zog aus. da musste ich mir dann andere gründe einfallen lassen, weshalb ich nicht ins atelier konnte. 

ein paarmal fuhr ich noch hin, zog meine jacke aus, kochte tee, machte nen podcast an, fing an aufzuräumen und wenn es nach einer stunde nichts mehr aufzuräumen gab rief ich felix, meinen mann, an, der im homeoffice war: „ich komm jetzt wieder nach hause.“

bald gab ich es ganz auf und richtete mir zuhause einen arbeitsplatz ein, zwischen zwei möbeln, dem einzigen ort, wo noch platz für die staffelei war und fing ernstmal an, malgründe zu grundieren. dabei dehnte sich der arbeitsplatz schnell über das ganze zimmer aus. ich fühlte mich plötzlich wie mit 19, als ich auch noch auf dem fussboden malte.

weil die staffelei für bestimmte formate zu klein ist fing ich an auch an der wand zu arbeiten. außerdem sind in der wohnung farbflecken auf sofas und teppichen ab sofort erlaubt.

das reichte aber noch nicht. malgründe grundieren schön und gut aber man muss dann auch drauf malen! irgendwas musste ich immer noch machen, um reinzukommen. also verkündigte ich im internet, dass ich ab sofort jeden tag ein bild posten würde. meine „daily irgendwas“ phase. quasi eine selbst ausgedachte deadline und das internet als ausgedachten auftraggeber.

das hat es tatsächlich gebracht. nach einer woche dailies war ich tatsächlich wieder drin und brauchte auch keine dailys mehr machen. umgeben von bergen von dreckwäsche, unbezahlten rechnungen und einem hund, der mich zu hypnotisieren versucht, damit wir raus gehen, sitze ich jetzt täglich in meiner malecke und produziere. 

hier kommen jetzt ein paar dieser dailies und ein paar mehrtages-dailies, die ich jetzt auch bei mir im archiv hochgeladen hab:

mein letztes pleinair

als kind hatte ich meine eltern so lange bearbeitet bis das klavier halt angeschafft wurde. als es dann da stand ermahnte mich meine mutter jeden tag, dass ich nun aber auch spielen müsse. ich bekam unterricht, hatte jedoch keine lust zu üben. stattdessen spielte ich einfach immer nur den flohwalzer damit meine mutter dachte, ich übe. 

bis heute hat sich dieses vorgehen bewährt. nichts geht über eine exzellente ausrüstung. und sobald die vorliegt verliere ich das interesse. erst vor ein paar wochen bestellte ich mir so eine ultrateure „pochade box“ in den USA. anschliessend fuhr ich mit dem auto herum um gute pleinair-spots auszukundschaften und besorgte für unseren hund extra einen sonnenschirm. sobald alles angeschafft, abgecheckt und geklärt war stand ich in den feldern lübars unter der glühenden mittagssonne und pinselte komplett motivationslos irgendwas hin. irgendwas fehlte immer noch, irgendwas war falsch. nach 15 minuten brach ich ab und packte alles wieder ein.

so wie vor einem jahr, genau zu dieser zeit, als ich zum pleinair malen extra nach polen gefahren bin, in ein pommersches dorf namens klopotowo

die ersten zwei tage verdaddelte ich mit „vorbereitungen“.

einen ganzen tag lang lief ich herum auf der suche nach einem “guten malspot”. ich konnte mich einfach nicht entscheiden. die gegend war ja wirklich sehr pittoresk aber pittoreskes kann man ja nicht ernsthaft malen! ich war am verzweifeln. „ich fahr doch nicht nach polen und mal rhododendronbüsche.“ 

das licht im hochsommer lässt ja auch alles total flach und scheisse aussehen. gutes licht gibt es dann immer erst nach 18 uhr und da musste ich zum essen.

das buchenwäldchen hinterm haus entdeckte ich spät. uralte buchen entlang eines kleinen moores, vollkommen märchenhaft und verwunschen. märchen sind auf jeden fall mein ding. hier würde ich mich niederlassen. und wieso nicht einfach gleich die ganze woche? genug bäume zum malen gab es hier ja.

ab sofort schulterte ich jeden tag nach dem frühstück meinen rucksack und zuckelte los. wie so eine angestellte nahm ich um 9 den pinsel in die hand und legte ihn um 5 wieder ab. 
dann war ich aber auch wirklich extrem erschöpft. komisch, in ligurien hatte ich doch so eine power, hier im schatten der pommerschen buchen fehlte mir wahrscheinlich einfach vitamin d. jeden tag fiel es mir schwerer, bis 5 uhr durchzuziehen. da ich aber auch nichts besseres zutun hatte biss ich die zähne zusammen.

einer in der malgruppe, die die reise organisiert hatte, ein pensionierter lehrer aus königswusterhausen, fand zwar, dass die landschaften meine BESTEN arbeiten seien, deutete aber auch an, dass er mit meinen übrigen arbeiten eh nichts anfangen konnte. 

mir dagegen wurde immer klarer: mein verhältnis zum pleinair hatte sich irgendwie eingetrübt.
ich hatte mich eh immer schon gefragt, wie ich so komische oldschool landschaftsmalerei mit dem rest meines „werkes“ vergesellschaften sollte. mein früheres ich hätte sich sicher die haare gerauft.

ich sah das draussen malen zwar immer auch eine art performance, aber offiziell konnte es dazu ja nur werden wenn ich es live aufgeführt hätte und soweit ging das nun auch nicht. ich wollte mich ja nicht lustig machen.

eine performance war es insofern, weil es eben auch um den prozess ging. das ergebnis war mir mindestens zweitrangig.
in polen drehte sich das aber zum ersten mal um. die ergebnisse waren mir plötzlich schleierhaft und der prozess fing an, zu nerven. 

gestern hab ich die klopotowo bilder nun wieder hervor geholt um sie endlich zu dokumentieren. und bin immer noch extrem zwiegespalten wie ich sie finde. “interessant” vielleicht.

in fotos reinmalen

die neueren prints bei mir im shop sind ja in fotos reingemalte zeichnungen. ich hab sowas in der art schonmal vorher gemacht, in analog allerdings, mit nagelschere und sprühkleber.

das war zu einer zeit, als ich nach einer längeren pause gerade wieder ein neues atelier bezog. und nach dieser pause, die 5 jahre gedauert hatte, hatte ich erstmal keine lust, da weiter zu machen, wo ich aufgehört hatte. stattdessen wollte ich es mal mit collagen versuchen und fing an, leute aus klatschzeitschriften auszuschneiden und sie in fotos von meinem neuen atelier reinzukleben.

in digital ist sowas natürlich einfacher. alles geht hundert mal schneller und man kann alles wieder revidieren. wenn man versucht, analoge handlungen zurück zu setzen, indem man, um bei der collage zu bleiben, ein besonders schönes exemplar von silvio berlusconi, der schon festklebt, wieder aus dem bild entfernen will, reisst garantiert ein arm ab oder kopf.

aber nur, weil etwas in der herstellung einfacher, schneller und kostengünstiger ist ist das ergebnis ja nicht weniger wertvoll. ich kann garnicht sagen, wie sehr mir diese kulturpessimisten auf die nerven gehen, die alle digitalen werkzeuge in der kunst als eine art „betrug“ proklamieren, während analoge werkzeuge, die dasselbe ergebnis erziehen, garnicht erwähnt werden.

klar sieht zeitungspapier aufgeklebt auf aldi-fotos anders aus als tintenstrahldrucke. ich hab die collagen mit ihrer unebenen oberfläche damals tatsächlich auch ein stück weit als objekte begriffen.

aber während man den collagen anschliessend beim vergilben zusehen konnte kann man die drucke jetzt immerhin mal aus der schublade nehmen, das ist doch auch was, oder nicht?

im abstrakten wald

mein verhältnis zur abstraktion ist eigentlich ganz entspannt. been there, done that, sagt man ja. 

das ist zwar schon ein bisher her aber bevor ich etwa 1995 (das ist auch das jahr der geburt meines sohnes, deswegen weiss ich das so genau) figürlich wurde hab ich abstrakt gemalt (gibt leider keine abbildungen). quasi in meiner sturm und drang zeit, mit anfang 20. damals war alles, was ich tat, immer das gegenteil von dem, was erwartet wurde, oder was ich meinte, was wohl erwartet wurde. 

die abstraktion wurde mir aber dann schnell langweilig. ebenso die malerei. 

heute mit anfang 50 ist meine pubertät zum glück langsam vorbei und den schritt, wieder zurück zur malerei, fand auch wieder niemand geil, ausser ich. 

vielleicht ist jetzt also der weg frei, zurück zur abstraktion, wer weiss.