weil ich künstler bin!

hier kommt jetzt der zweite teil meiner interviewreihe mit berliner malerinnen. und weil konsequenz mein zweiter vorname ist diesmal ohne malerin. stattdessen hab ich den berliner nicht-maler sebastian zarius interviewt.

das atelier ist in den ehemaligen harras-werken in lichtenberg. lichtenberg wurde von der berliner zeitung ja gerade mal wieder zum neuen hipster-bezirk erklärt. die hipster, die mir auf dem weg von der bushaltestelle zum atelier über den weg liefen, lassen sich allerdings an einem finger abzählen.

sebastians atelier ist klein und auffallend aufgeräumt. die deckenhohen regale sind so prall gefüllt wie der lupo meiner mutter, als wir mit dem im urlaub waren. leute haben applaudiert als wir fertig eingeladen hatten.

sebi2

wir sitzen vor den geöffneten flügeltüren mit blick auf den schornstein gegenüber und das interview beginnt:

wann hast du dich das erste mal als professioneller künstler gesehen?*

das war eher ein prozess. während des studiums kann man sich vor der frage ja noch verstecken, da übt man noch und lässt sich langsam darauf ein. es aber mit ernsthaftigkeit nach aussen zu vertreten, so dass die leute einem das dann auch glauben, das ist bei mir eigentlich noch garnicht so lange.

in berlin ist es aber ja nicht so ungewöhnlich, wenn man sagt, man ist künstler. hier ist es warscheinlich eher komisch, wenn man sagt, man ist fliesenleger. man hat immer das gefühl, man müsste noch dazu sagen: „ich bin künstler, aber ich mach das ernsthaft!

arbeitest du vollzeit?*

im prinzip ja. teilweise kann ich davon leben und manchmal ist es auch schwer. hin und wieder mache ich mal ne auftragsarbeit oder jobbe als ausbilder bei erste-hilfe kursen. ich geb diese kurse ganz gerne, weil es keine berührungspunkte zu meiner künstlerischen arbeit gibt und sich nichts in die quere kommt.

fakt ist jedenfalls, dass ich mit extrem wenig geld lebe. dafür habe ich aber auch den luxus, zeit zu haben und unabhängig zu bleiben. auf diese weise kann ich mich eben auch einfach mal zwei monate damit beschäftigen, ein faltboot zu bauen.

wie lange bist du schon in diesem atelier?*

seit anderthalb jahren.

hast du pläne gemacht, bevor du eingezogen bist, wo was sein soll? oder ist es eher organisch gewachsen?*

eher gewachsen. das aber auch zwangsläufig, weil ich vorher 140 quadratmeter zur verfügung hatte und jetzt 35. das war schon schwierig, denn das sind hier sechs-einhalb sprinterladungen.

ich fand es damals schade, dass ich da, wo ich vorher war, in kreuzberg, nach 5 jahren raus musste. ich hab mich da sehr wohl gefühlt und viel investiert, immer pünktlich bezahlt und dann wurde mir fristlos gekündigt. das haus wurde verkauft und dann wehte ein neuer wind. mir konnten sie kündigen weil ich gewerberaum hatte und es ist eben mehr wert, wenn keiner mehr drin ist. heute stehen meine räume immer noch leer.

ich hab dann aber auch enthusiasmus für das neue atelier entwickelt. schon vor dem umzug bin ich immer mal vorbei gefahren und hab mir die gegend und das haus von aussen angesehen und mich dran gewöhnt.

es sind bestimmte kombinationen von möbeln, die mir so ein zuhause-gefühl geben, weil die im alten atelier schon genauso standen. im alten atelier hatte ich diesen schreibtisch auch schon so vor der wand, nur waren da kaum fenster.
als ich das alles aufgebaut hatte und irgendwann hier abends am tisch gesessen hab, da hat mir das erste mal nach jahren die sonne ins gesicht geschienen.

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

hat das atelier deine arbeit in irgendeiner weise beeinflusst?*

ja, schon. die arbeitsweise. vorher hatte ich jahrelang wohn-ateliers. das hat den vorteil, dass man abends zum beispiel nochmal schnell ne zweite schicht lackieren kann, und den nachteil, dass man sich kaum entspannen kann, weil man immer in seinem arbeitschaos sitzt.
wenn man es aber zu ordentlich hat entsteht keine arbeitsatmosphäre.
das ist jetzt anders. hier komme ich nur her, um zu arbeiten. und wenn man schonmal hier ist arbeitet man auch.

die arbeiten ansich hat das atelier eher weniger beeinflusst. größentechnisch hat sich auch nichts verändert, ich hab ja eigentlich nie so groß gearbeitet. die frage, wo was hinkommt, wenn es fertig ist, hat sich auch bei 140 quadratmetern schon gestellt.

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

wie verläuft ein typischer alltag-tag bei dir?*

in letzter zeit führ ich n recht geregeltes leben. ich wach manchmal sogar schon um 8 auf –

[interviewerin lacht sich kurz tot]

– dann fahr ich irgendwann los, mit dem fahrrad, ungefähr ne halbe stunde. zwischen 11 und 12 bin ich hier.
mittagspause mach ich irgendwann, da gibts kein festes programm. am anfang bin ich jeden mittag ins don xuan center gegangen, ich hab aber auch ne mikrowelle.

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

du hast garkein sofa für pausen zwischendurch, nur stühle. willst du sowas nicht?

auf keinen fall! ich hab hier ne isomatte, da kann ich auch mal n mittagsschläfchen drauf machen, das reicht.

wieviel stunden machst du denn so am stück?

in der regel komm ich so um 11, 12 nach hause.

hörst du musik bei der arbeit?*

schallplatten. der plattenspieler da [zeigt auf ein gerät an der wand, neben der mikrowelle] kann auch auf dem kopf laufen und hat ne repeat-taste. ich hör gerne platten auf wiederholung.

hat musik einen effekt auf deine arbeit?*

in erster linie hat sie den effekt, dass man die zeit vergisst. gerade wenn man auf wiederholung hört ergibt sich eine art zeitschleife. ausserdem hält sie die stimmung.
ich arbeite ja weniger aus nem disziplin-prinzip sondern weil es spass macht, und mit musik macht es mehr spass.

dann lass uns jetzt mal über die plastiktüten reden. du arbeitest ja schon seit 15 jahren mit plastiktüten.

ja, das kam ziemlich schnell nachdem ich mich entschieden hatte, kunst zu machen. ’96 oder so. ich hab schon vorher viel collagen gemacht, da ist das ist das mit den tüten als objet trouvé ja im weitesten sinne schon drin.
in der schule war ich kurt schwitters fan und hab altes gefundenes zeug zusammen gebaut, aber irgendwann wollte ich da auch wieder weg, weil, das konnte ich dann ja irgendwann. das war natürlich voll sixties und auch irgendwann vorbei. ich wollte was modernes machen und da war der nächste schritt, nicht mehr an der elbe treibgut zu sammeln, sondern in den baumarkt zu gehen.
ne alte eisen-scheibe vom elbstrand kann man eben nicht so ohne weiteres nachkaufen. ich wollte aber material, das verfügbar ist.

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

und wie kam es dann zu den plastiktüten, was können die, was andere materialien nicht können?

plastiktüten sind erstmal n alltagsmaterial, was man nicht kaufen muss. und was unter anderem die eigenschaft hat, dass man licht durchschicken kann.

die erste arbeit, die ich in diese richtung gemacht habe, war ein stück staubsaugerbeutel im diarahmen. irgendwo stand n diaprojektor, da hab ich den staubsaugerbeutel reingesteckt und seitdem war klar: so kann man bilder herstellen. keine abbildungen, sondern durch den mechanismus werden die bilder erst gebildet. und plastiktüten funktionieren da wunderbar, die haben alles, was man braucht: farben und formen.

die nächste möglichkeit war dann, den diarahmen mit dem stück plastiktüte in nen fotoladen zu bringen und abziehen zu lassen. das hat gut funktioniert. da kamen dann bunt-monochrome minimal-popart bilder vom fotoladen zurück.

und was für fotoläden?

1000 töpfe, foto dose, immer die formate, die gerade im sonderangebot waren.
da war ich stolz drauf, zu sagen: „ich arbeite immer nachdem, was gerade im sonderangebot ist! gerade mach ich 50 x 70.“

[interviewerin und interviewter lachen sich kurz tot]

es gibt auch eine arbeit, da hab ich ein dia immer wieder abziehen lassen. im fotoladen den print abgeholt und das dia sofort wieder abgegeben und nochmal abziehen lassen. auf die weise war das dia locker 3 jahre bei 1000 töpfe. ich hab es natürlich nicht immer sofort abgeholt, manchmal hab ich es auch vergessen, dadurch gibt es jetzt ungefär 45 bis 50 abzüge und die sind alle verschieden. die farben sind anders, manchmal auch der ausschnitt, einmal war es sogar spiegelverkehrt.

auf die idee gekommen bin ich durch nen anderen künstler. der hat so ein himmel-foto in verschiedenen fotoläden der welt abziehen lassen und das sah immer leicht anders aus. da hab ich gedacht: das kannste doch auch in einem laden machen!

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

wie ist es eigentlich mit der haltbarkeit?

naja, tüten altern natürlich und die farben verbleichen. das war mir aber immer klar. nur weil ich eine erhöhung von nem alltagsgegenstand mache, heisst das ja nicht, dass das material nicht dieselben eigenschaften hat, wie das zeug, was da ganz un-erhaben auf der wiese liegt.
da ist es manchmal komisch, wenn sich sammler nach zehn jahren beschweren, dass das orange nicht mehr leuchtet während das gleiche zeug zur selben zeit in dimensionen von nem kontinent auf dem meer schwimmt.

andererseits kann man bestimmte arbeiten mit den tüten, die es heute gibt, garnicht mehr machen, weil die mittlerweile zum teil kompostierbar sind. das zeug, was 500 jahre rumliegen kann ohne zu verrotteten, ist leider genau das, was man zum kunst-machen braucht. mit bio-tüten ist so ne collage in 4 jahren weg.

was ich auch interessant finde ist, dass dies alles inzwischen garkeine alltagsmaterialien mehr sind. diarahmen gibt es fast nicht mehr. früher haben hundert stück beim hersteller noch 10 euro gekostet, heute kosten die bei ebay minimum 30. eben weil keiner mehr dias macht gibt es auch die industrie nicht mehr. und die plastiktüte ist auch im begriff des verschwindens.
das heisst, die arbeiten haben heute eigentlich nur noch insofern mit dem alltag zutun, dass es ihn so nicht mehr gibt.

wie kam es eigentlich zu diesen akkumulationsbildern?
[siehe nächste abbildung]

unter anderem bedien ich damit eine künstlerlegende. die handelt davon, dass ein künstler den schaum vorm mund eines tollwütigen hundes malen will und es klappt und klappt nicht. im zorn nimmt er den schwamm und schmeisst in auf das bild und da schafft der schwamm dann den effekt.
so ist das hier auch: 15 jahre an tüten abgearbeitet und zum schluss alles einfach so in nen rahmen gestopft – „und es war gut“.
die arbeit heisst “horizont”.

wieso “horizont”?

das kommt aus der archäologie, so heissen da die grabungsebenen. die sind in diesem fall vertikal.

horizont 1, sebastian zarius

ist das mit dem verschwinden des alltags eigentlich der grund, warum du jetzt zur digitalen arbeitsweise übergeschwenkt bist?

das hat sich eher ergeben, weil es ja immer mehr teil des alltags ist. man hat ja inzwischen schon ein mehr oder weniger natürliches verhältnis zum digitalen entwickelt, da ist es ja naheliegend, es auch als werkzeug für die kunst zu nutzen. für mich ist photoshop dasselbe wie farbe und pinsel. deswegen ist es aber ja noch lange keine digitale kunst.

in der „goma“-reihe, die gerade in hamburg ausgestellt wird hab ich in erster linie schrift abgedeckt und wie das passiert spielt erstmal keine rolle. ich finde es aber erstaunlich, wie gut es funktioniert, obwohl es nicht materiell ist. also eben gerade nicht so wie konservative kunstmarkt-leute es gerne hätten, für die das material schon den selbstzweck erfüllt: „ist in öl gemalt, dann muss es etwas sein“ – für mich sind mit dem lasso hergestelle kratzer die schnörkel der moderne.

goma # 38, 30 x 40 cm, 1/1+1 AP, sebastian zarius, 2012

praktisch ist am digitalen ausserdem, dass ich jede fertige datei sofort auf meine webseite hochladen kann. früher hab ich immer erstmal die prints gemacht aber weil ja schon der arbeitsprozess am bildschirm stattfindet kann ich es auch gleich hochladen und jeder kann sich das sofort ansehen. es gibt dann allerdings nur ein ausgedrucktes original, das man kaufen kann.

auch den „goma“-katalog hab ich schon drucken lassen bevor noch der erste print überhaupt vorlag.
so wie man heute nen flug bucht und nicht mehr extra ins reisebüro muss kann man diese prozesse jetzt in der kunst eben auch nutzen und das ist doch super!

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

deine arbeiten sind ja sehr dicht an der malerei. siehst du dich eigentlich als maler?

nein. aber mit „goma“ bin ich der malerei so nah wie nie, weil ich auf das bild mit allen digitalen möglichkeiten drauf arbeite.

richtig malen, so mit farbe, hab ich schon hin und wieder mal gemacht, zum beispiel hab ich mal angefangen, dia-collagen abzumalen, aber weil das bild ja bereits da war gab es eigentlich auch keinen grund mehr zu malen. warum soll ich farben kaufen wenn das material schon alle farben hat? ich hab die dias lieber projiziert statt sie zu malen.

es gibt aber diese landkarten-malerei, mit der ich vor 2 jahren angefangen hab. dafür stelle ich sogar selber farbe her, weil ich körperlose wasserfarbe mag und ei-tempera für mich am dichtesten an wasserfarbe dran ist.

im hintergrund: ein bild, basierend auf dem stadtgebiet von kisangani im kongo
im hintergrund: ein bild, basierend auf dem stadtgebiet von kisangani im kongo

die vorlagen stammen aus einem kartenarchiv im internet, von der universität texas. da gab es karten in extrem guter auflösung aus den sechziger jahren vom kongo. von einigen hab ich screenshots gemacht, die auf leinwand projiziert und gemalt. die flussverläufe sind wie auf der vorlage, den rest hab ich verändert.

diese arbeiten haben warscheinlich auch was damit zutun, dass ich vor dem studium länger dort war. ’89 ein halbes jahr und nochmal von ’92 bis ’94 bin ich durch
ost-, zentral und südafrika gereist, unter anderem zaire (heute kongo), malawi, mozambique und tansania.

basierend auf karten vom genzgebiet kongo-uganda. "das ist landschaftsmalerei von nem krisengebiet im landkartenstil."
basierend auf karten vom genzgebiet kongo-uganda. “landschaftsmalerei von nem krisengebiet im landkartenstil.”

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

in kisangani hab ich nen einbaum gekauft und bin damit den kongo runter gefahren, 350 kilometer.
insofern haben die kartenbilder wohl indirekt auch was mit den faltbooten zutun, die ich baue.

wie ist das denn mit diesen faltbooten, ist das auch teil deiner künstlerischen arbeit?

im allerweitesten sinne.  man könnte es vielleicht zu kunst erklären im sinne von ein franz-erhard-walther-schüler benutzt selbstgebaute objekte oder als landschaftskunst, weil man damit über nen fluss fährt, aber eigentlich sind es erstmal nur boote, von nem künstler gebaut.

atelier sebastian zarius, lichtenberg 2014

faltboot "rakete" von sebastian zarius

faltboot "rakete" von sebastian zarius
faltboot “rakete” von sebastian zarius

aber ich find es gut, wenn mich leute auf gewässern nach der marke fragen und ich sage: „selbstgebaut!“. die haben extrem respekt, weil jemand, der sich mit booten auskennt, weiss, dass es ne harte angelegenheit ist, son boot zu bauen.
und wenn die leute mich dann fragen: „warum können sie das denn?“ dann sage ich natürlich: „weil ich künstler bin!“ damit tu ich dann auch was für die kunst, weil normalerweise können künstler sowas ja nicht!

[interviewerin und interviewter lachen sich kurz tot]

aber nur weil es kompliziert ist, ein boot zu bauen, ist es natürlich nicht automatisch kunst.

die fahrt auf dem rhein von düsseldorf nach emmerich steht aber in meinem lebenslauf. als einzelausstellung.

danke für das gespräch!

 

die ausstellung „goma“ von sebastian zarius im “projekthaus U.FO kunstraum” läuft noch bis zum 1. november.
öffnungszeiten sind donnerstags und freitags 16.00- 19.00 uhr sowie samstags 13.00-16.00 Uhr
das projekthaus ist in der bahrenfelder str. 322, 22765 hamburg

sebastians homepage

 

* die markierten fragen stammen aus dem buch „inside a painter’s studio“ von joe fig.