ich habs glaubich schon öfter erwähnt. in den frühen neunziger jahren war an der hamburger hochschule für bildende künste der beliebteste ratschlag aller profs, egal mit wem man sprach: „machs mal in gross“.
„mach mal mehr davon“ war der zweitbeliebteste, und mehr zu machen ist ja auch eine vergrösserung.
wenn man dann noch die tatsache hinzuzieht, dass etwa 90% dieser ratgeber männer waren, gibt das vielleicht zu denken.
diese eher schlichten ratschläge unserer damaligen profs sind bis heute running gag unter den ehemaligen kommilitonen. ich schwankte damals zwischen viel verachtung und wenig respekt aber irgendwann pendelte es sich doch ein und ich probierte es doch mal aus mit dem „gross“ oder „mehr“.
der kritikpunkt an dieser expansions-methode ist ja, dass es sich hierbei ausschliesslich um einen effekt handelt. man nimmt irgendein unbedeutendes bild und bläst es einfach nur riesengross auf – und alle so: toll!
stattdessen könnte man ja vielleicht auch mal sagen: „mach mal in klein“ um dann zu gucken was übrig bleibt. falls nichts übrig bleibt ist es vielleicht ja einfach schrott?
leider funktioniert so aber dieser markt. die kunstmessen sind voll mit aufgeblähtem scheiss. insofern bezogen sich die ratschläge der profs, mal „in gross zu machen“, also klar auf die bedürfnisse des marktes. was ja ok ist, nur: mehr wurde an der hochschule damals über markt-mechanismen nicht geredet.
und wenn in den arbeitsbesprechungen etwas, die kommerzialisierung betreffendes reinfloss, dann ohne dass es als derartiges gekennzeichnet wurde. es wurde also nicht gesagt „katia, mach grosse sachen, weil die galeristen keine kleinen sachen wollen, grosse bringen mehr“ sondern es wurde gesagt: „wenn du die arbeit verbessern willst machs grösser“.
groß war für diese männer gleichbedeutend mit gut.
viele profs übertrugen diese phallische denkweise aber auch noch auf andere aspekte ihrer tätigkeit, zum beispiel indem sie nur männliche studenten für preise und ausstellungen vorschlugen. wochenlang wurde in meiner klasse über die ausstellungsprojekte der männlichen kommilitonen geredet und wir frauen sassen da und hofften, dass wir auch irgendwann mal dran kämen.
andere profs benutzten in arbeitsbesprechungen ua. den begriff „frauenkunst“. anders als dieser lexikoneintrag den begriff definiert, wurde er zu meiner studienzeit viel schwammiger und klar negativ gewertet. frauenkunst galt als etwas, was sich den eher privateren, „weicheren“ und daher vorgeblich unwichtigeren themen widmete mit organischen, also auch eher weichen materialien wie latex, wachs, ton, stoff, haar, knochen oder ähnlichem.
zu den künstlerinen, die derart kategorisiert wurden, zählten bezeichnenderweise aber wieder ALLE damals angesagten frauen: kiki smith, louise bourgeois, eva hesse, cindy sherman, marina abramovic…
nagut, hanne daboven vielleicht gerade nicht.
ausgerechnet marina abramovic war aber zu dieser zeit eine der wenigen professorinnen an der hochschule. und sie war als künstlerin international viel erfolgreicher als ihre männlichen kollegen. ebenso kiki smith, die eine kurze gastprofessur hatte.
und ich war dabei als besagter „frauenkunst“-professor einmal komplett ausflippte und der smith über die ganze etage hinterher brüllte: „you are NOT an artist, you are… a moralist!“
alles in allem war es an der hochschule damals nicht einfach, frau zu sein. wir fanden frauen wie kiki smith grossartig, wollten aber auf keinen fall gefahr laufen, auch „frauenkunst“ zu produzieren.
es gab aber auch profs, die uns mit ihren tipps wirklich versuchten auf etwas vorzubereiten. die ihren studentinnen mit ihrem einstimmigen „mach mal in gross“ quasi eine art penissimulation beibrachten. es gab regelrecht veranstaltungen wo der prof mit seiner klasse saufen, feiern, und großkotzig rumlabern trainierte. (hinterher nahm er eine studentin mit ins bett.)
und es gab auch immer wieder frauen, die später auf diese weise (saufen, feiern, grosskotzig sein) noch ganz erfolgreich wurden.
mir fiel es auch nicht schwer. ich konnte auch so einige kollegen unter die tische saufen und ich war auch ganz gut in grossen gesten oder zumindest in grell und in laut. ich musste mir das garnicht vornehmen, im herzen bin ich proll. und mein selbstbewusstsein, zumindest im bezug auf meine arbeit, war auch immer ganz stabil.
nach abschluss des studiums, auf dem freien markt, funktionierte es aber plötzlich nicht mehr so gut. langsam fand ich es anstrengend, immer unter beschluss zu sein, immer bereit zu sein zurück zu schiessen. permanente gegenseitige provokation und gegenseitiges belügen.
einmal machte mich sogar ein männlicher kollege darauf aufmerksam, dass ich als frau zu unbescheiden sei. ich solle mich mal lieber wieder etwas kleiner machen.
im frühjahr 2001 nahm ich an der ausstellung „ziviler ungehorsam“ teil, eine andere frau und ich als einzige neben 41 männern. in der frankfurter rundschau schrieb dazu der autor frank keil:
Weniger geeignet für diese Art des unerschrockenen Abarbeitens am Elend der Welt, ist offensichtlich die Arbeit von Künstlerinnen. Nur zwei haben es überhaupt in die Ausstellung geschafft: Von Martha Rosler sind ihre Collagen zu Zeiten des Vietnam-Kriegs zu sehen, Kampfszenen gemixt mit Einrichtungstipps für das amerikanische housewife. Die junge Hamburger Künstlerin Katia Kelm hat dazu nicht unpassend einen Bettvorleger aus Eisbär und Hausfrau geknetet; nebenan schweben fünf Geier am Laufband über einem wogenden, goldgelben Kornfeld; jedes Büschel, jede Feder echte Handarbeit. Viel, viel Mühe steckt da drinne; und hübsch anzusehen ist es auch.
auf der einen seite also die männlichen kollegen mit ihrem „zivilen ungehorsam“ – auf der andere eine frau, die sich „viel, viel mühe“ gibt.
ich frage mich aber auch, ob begriffe wie „handarbeit“, „mühe“ und „hübsch anzusehen“, auch in den beschreibungstexten von arbeiten von männern stehen.
—
heute habe ich die großen gesten, die ich in den ersten jahren nach der hochschule noch praktiziert hatte, weitgehend abgelegt. sie sind mir inzwischen eher peinlich.
ich hatte aber ja auch keine ahnung und musste mir das, was wir an der hochschule nicht gelernt hatten (also sogut wie alles) erstmal selbst beibringen.
was die grossen gesten betrifft hab ich inzwischen sowas wie verhältnismässigkeit gelernt. ich bau schon lange keine skulpturen mehr, die nicht durch die tür gehen oder durchs treppenhaus. ich realisier keine projekte mehr, die die mietzahlung für meine wohnung und das atelier gefährden und die grösse meiner bilder orientiert sich an der grösse des ateliers.
das mag uncool klingen, spiessig, „mädchenhaft“, aber mir ist das überleben inzwischen wichtiger als „auf gross“ zu machen.
nur mühe geb ich mir immer noch.
Holger Becker hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Martina Ring hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Ute Klapschuweit hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Eike Laeuen hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Willi Zodel hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
❤️
Maja Taube hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Nunja, die großen Knetearbeiten hatten auf jedenfall für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Aber für mich persönlich war die Hfbk Zeit, abgesehen von der Garage, überflüssig und eher kontraproduktiv.
danke :)
Großartiger Text Katia!
❤️
Stefanie Clemen hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Ulla Sommer hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Holger Pohl hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Iris Paul hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Peter Breuer hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Viola Martin-Mönnich hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Richard Hemmersbach hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Judith Mall hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Johanna Strodt hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Marc Weber hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Katharina Kölling hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Juro Grau hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Tatjana Sarah Greiner hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Hanna Engelmeier hat diesen Artikel auf twitter.com geliked.
Hanna Engelmeier hat diesen Artikel auf twitter.com geteilt.
Schrillmann hat diesen Artikel auf twitter.com geliked.
sѷәŋ hat diesen Artikel auf twitter.com geliked.
sѷәŋ hat diesen Artikel auf twitter.com geteilt.
… für mich waren deine arbeiten schon immer großartig. Katia, seit damals Erik Barran und so :-)) nun auch
… nun auch … super Texte … liebe Grüße
Elena Schwenzel-Marquardt hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Tania Simon hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
Hübsch und fleißig.katiakelm.de/blog/2017/04/3…
Text zu männlichen Größenfantasien in der Kunst liest sich gut ohne Großbuchstaben: katiakelm.de/blog/2017/04/3… @knetagabo via @HannaEngelmeier
Über den Kunstbetrieb als Reproduktionsmaschine dümmlichster Gender-Klischees: katiakelm.de/blog/2017/04/3…
Loni hat diesen Artikel auf twitter.com geteilt.
Wolfram Wiese hat diesen Artikel auf twitter.com geliked.
Adrian Zylinder hat diesen Artikel auf twitter.com geliked.
Sophie Aigner hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.
ich: war auch auf hfbk. an dem: “machs mal in gross” arbeite ich mich heute noch ab professor: “kleine arbeiten sind niedlich, aber nicht selbstbewußt”.
Sehr guter Text,liebe Katja! Bei mir kamen auch viele Erinnerungen hoch, kann es im Nachhinein kaum glauben…
Liebe Katia,
das ist ein schöner Text, der deutlich aufzeigt, dass es bei einer Kunstakademie hinter allem Gerede von der ach so tollen Freiheit auch um die Anlage einer Disziplinaranstalt geht.
Ich hatte auch schon in meiner Studienzeit in den 1980er Jahren bemerkt, dass es Frauen an der Hochschule besonders schwer hatten. Vor allem auch durch fehlende Identifikationsmöglichkeiten, die aber auch gleichermassen die Männer betrafen. Noch neulich wurde mir klar, dass ich in meiner Hamburger Zeit an der HfBK nur mit einer Frau zu tun hatte, – Christel Burmeier, die für kurze Zeit bei uns Akt unterrichtete. Alle anderen waren vom Hausmeister über die Werkstattleiter zu den Professoren nur Männer. Frauen waren allein in der Verwaltung und in der Mensa anzutreffen.
Als Mann war es für mich dadurch aber nicht in allen Teilen einfacher. Galt es doch den entsprechen Stereotypen nachzukommen, also mit-abhängen, mit-saufen und dumme Sprüche klopfen. Sich dem zu entziehen, bedeutete in einer Nische zu leben.
Als Kuriosum blieb mir noch B.J. Blume in Erinnerung, den Du vielleicht auch noch erlebt hast. Zu Anfang hatte er den Tick alle Männer “ödipal” und alle Frauen “uterinär” zu nennen. Es dauerte einige Zeit, bis wir uns zusammenfanden und austauschen konnten: Macht er das auch bei Dir? Ja, bei mir auch…
Wir sind dann zu ihm hin gegangen und haben ihm gesagt, dass wir das respektlos fänden. Es hat sich das angehört und dann entschuldigt. Er täte sich schwer im Lehrbetrieb nach vielen Jahren als freier Künstler.
Grundsätzlich war er sehr aufmerksam und konnte mir jedenfalls viel beibringen. Ich denke, er hatte auch durchaus einen Anspruch an seine Lehre und war tatsächlich zu Anfang an das System Kunsthochschule nicht ganz adaptiert. Mir wird das jetzt besonders deutlich, da ich das gleiche Alter wie Blume erreicht habe. Sollte ich jetzt noch einmal an einer Kunsthochschule lehren sollen, wäre ich wahrscheinlich auch verunsichert.
Ob Blume tatsächlich seine Sprüche aufgegeben hatte, kann ich nicht sagen, da ich selbst kurze Zeit später an eine andere Hochschule wechselte. Da war es in dieser Beziehung anders, aber kaum besser.
Beste Grüße
Stefan
Dieser Text passt auch noch gut zur Debatte bei @redaktionmerkur über Sexismus & Kunst(hochschulen): katiakelm.de/blog/2017/04/3… #lasttweet
#Frauenkunst gross machen katiakelm.de/blog/2017/04/3… via @knetagabo
Litfutur De hat diesen Artikel auf facebook.com geliked.