A wie alkohol

sucht man ein beispiel für die negative korrelation zwischen alkohol und alter kann man diese gerade bei künstlern besonders schön beobachten. das sog. “sich tot saufen” gehört bei künstlern gewissermassen zum berufsrisiko.

im moment in dem ein künstler verkündet, er trinke nicht, erntet er entweder betretenes schweigen oder verständnisvolles nicken.
mir fallen auf anhieb nur einige wenige künstlerinnen ein die „von natur aus“ wenig trinken und nur einer, der mit absicht abstinent ist.
die meisten rappeln sich am tag danach wieder einigermassen auf mit kaffee und aspirin, ich kenne aber auch einige, die statt kaffee ein schönes glas bier zum frühstück trinken.

künstler trinken alkohol weil illegale drogen, um es kurz zu machen, illegal sind. künstler sind traditionsbewusst und künstler haben immer schon gesoffen – wieso sollte sich das also ändern?

während meines studiums gab es im mensavorraum einen bierautomaten, der war das herz der hochschule. ein halber liter kostete nur 1,50 DM und hinzu kam, dass er wie eine slot machine funktionierte: nicht selten kamen alle biere auf einmal unten rausgefallen. plötzlich knallten dort 20, 30 dosen raus. was natürlich bewirkte, dass wir umso mehr geld oben reinwarfen – immer in der hoffung auf einen hauptgewinn.

das erste bier trank man gegen 17 uhr, und das auch nur so spät weil man eh nie vor 14 uhr in der schule war. einer machte sich auf den weg zum automaten und holte die erste runde. selten verliess man die schule vor 22 uhr, als der haupteingang vom völlig besoffenen pförtner geschlossen wurde – da kamen einige liter zusammen.
wenn man schliesslich gegen 1 oder 2 uhr morgens irgendwo ein offenes fenster als ausgang gefunden hatte rief man sich ein taxi und fuhr damit zur kneipe.

zum thema arbeit unter alkoholeinfluss hatte ich bereits vor meinem studium in london ausführliche tests durchgeführt. ich malte damals mit vorliebe nachts und trank wein oder bier und manchmal teilte ich mir einen joint mit meinem mitbewohner.
die kombination aus alk, dope, lauter musik und der späten stunde liess mich in eine art mal-ekstase abgleiten. ich malte berauschend schöne bilder. collagen aus pornos, lack, teebeuteln und echten schamhaaren! ich war eines der größten unerkannten genies der gegenwart!

jahre später lud mich ein kommilitone zu einer gruppenausstellung ein, bei der man seine schlechtesten arbeiten zeigen sollte. ich lehnte ab. die bilder aus meiner london-phase waren für die ausstellung zu schlecht.

künstler, die so wie ich bei der arbeit nicht trinken können, können dies dafür umso mehr auf eröffnungen. auf vielen galerien gibt es alkohol umsonst. aber selbst wenn dort ein glas billiger aldifusel für 4€ verkauft wird: künstler bleiben so lange bis alle flaschen leer sind. legt man als galerist wert auf ein volles haus sollte man also dafür sorgen, dass genügend stoff da ist.

andererseits gibt es auch viele galeristen die nur zwei flaschen in eine ecke stellen und schon auf der einladung bekannt geben, wann feierabend ist. um 22 uhr wird das licht ausgemacht und die gruppe trunkener pudelmützelträger hinaus auf den bürgersteig geschoben. denn galeristen wissen: künstler als gäste lockern zwar die verklemmte atmosphäre etwas auf aber künstler kaufen nicht und kommen nur zum saufen.

der grund warum die meisten künstler auf vernissagen so viel saufen ist: dass sie anders kaum zu ertragen sind. nicht die kunst, die erträgt man auch nüchtern. aber wegen der kunst geht kaum keiner auf vernissagen. die meisten gehen wegen des sogenannten „go-sees“ oder auch „sehen und gesehen werdens“. man zeigt sich unter den lebenden, verteilt einladungen und bekommt einladungen. man steht rum und auf die fragen, was man gerade so mache, beklagt man sich über zuviel stress aber ansonsten laufe wie immer alles hervorragend! während man das sagt kuckt man elegant am gesprächspartner vorbei und sucht nach leuten, denen man noch eine einladung geben könnte.

um dies einigermassen zu überstehen gehe ich seit jeher als allererstes, noch bevor mir überhaupt jemand eine einladung zustecken kann, an die bar.

auf diese weise erarbeitete ich mir mit der zeit sogar einen überreginoalen ruf. bei einem austellungsaufbau in der schwäbischen provinz passierte es mir zb. dass der kurator mir wortlos eine flasche wein an den platz stellte. auf meine frage, womit ich das denn verdient hätte, erklärte er mir, dass er gerade mit einem hamburger kurator telefoniert hätte, der ihm den tipp gegeben hätte, dass ich sehr gerne trinke.

heute halte ich meine vernissagenaufenthalte meist eher kurz. 15 minuten reichen völlig, bevor man sich aus langweile gar ein glas wasser bestellt und jemandem erklären muss, wieso man nichts trinke.