A wie alter

ab ungefär 40 gilt ein künstler als alt. jung ist er bis ca. 29. zwischen 30 und 39 fristet er im alterslosen niemandsland. dieses jahrzehnt kann zb. für psychotherapien oder kinderkriegen genutzt werden. ich habe meine erste psychotherapie exakt eine woche nach meinem 30sten geburtstag begonnen und meine zweite kurz vor meinem 40sten abgeschlossen.

ein ehemaliger professor von mir vertrat die auffassung, wer es bis 32 nicht geschafft hätte, könne aufgeben. ab 32 schaffe man es nicht mehr. ich hatte keinen grund, daran zu zweifeln – bis zu meinem 32sten geburtstag. seither bin ich hoffnungsvolle anhängerin des louise bourgeois mythos. louise kam bekanntlich erst mit über 60 zu weltruhm.

wie im sport, bei modells oder schauspielern ist auch die kunstszene völlig unverholen dem jugendwahn verfallen. je später das geburtsjahr umso teurer die arbeit. ein niedriges alter macht ebenso viel her wie eine namhafte galerie in der vita.
nur dass es bei künstlern natürlich nicht ums jugendliche aussehen geht oder die kondition, sonden allein um die jahreszahl. ein 19 jähriger kunstmarktstar kann ruhig aussehen wie ein 40 jähriger junkie und das ist garnicht ungewöhnlich.

als ich vor kurzem im internet auf die vita eines exfreundes stiess hat es mich so auch garnicht weiter erstaunt dass dieser, der während unserer beziehung noch industriedesigner und 3 jahre älter war als ich, heute künstler ist und ein jahr jünger.
ich nahm dies lediglich zum anlass, das geburtsjahr in meiner via kommentarlos zu entfernen.

leider nützt es nicht viel. spätestens bei der bewerbung für ein stipendium, einen preis oder eine projektförderung kommt das alter ja wieder raus. die meisten stipendien und kunstpreise haben eine altersgrenze.
weil viele stipendien obendrein ortsgebunden oder regional begrenzt sind habe ich mich für so etwas bislang eher selten beworben. als mutter eines schulpflichtigen kindes kam es die letzten 16 jahre für mich nicht in frage, mich einfach mal für ein viertel jahr in irgendein kaff nach niedersachsen abzusetzen.
andererseits sind die hamburger angebote diesbezüglich mehr als armselig. es gibt hier gerade mal ein arbeitsstipendium (was ich bereits hatte) und 2 atelierstipendien (was ich nicht brauche).
letztes jahr gab mir eine freundin den tipp, es doch mal bei der hamburgischen kulturstiftung mit einer projektförderung zu versuchen. ich verfasste ein, wie ich fand, überzeugendes exposé und legte diverse kataloge hinzu. ein paar wochen später bekam ich die antwort. die jury hatte entschieden: ich sei zu alt.
man fördere eh eher größere events, zb. festivals. vielleicht sollte ich es bei meiner nächsten bewerbung mal mit einem festival versuchen.

das kratzt mich aber alles nicht. wenn selbst das altersmilde spätwerk eines gerhard richters, der mit über 60 plötzlich anfing, seine 23-jährige freundin mit baby zu portraitieren, noch einen dummen käufer fand (der 8-teilige zyklus „s. mit kind“ gehört heute der hamburger kunsthalle) schaff ich das auch.

eine noch etwas andere dimension der karrierefördernden wirkung jugendlichen alters beweist in diesem zusammenhang übrigens der wikipedia-eintrag der ehefrau und ehemaligen studentin richters:

Zwischen 1991 und 1992 entstand die Zeichenserie „Lobeda“ mit mehr als 100 Bleistiftzeichnungen, die 2009 vom Verleger Walther König im Atelier der Künstlerin gefunden wurden und 2010 von der Buchhandlung Walther König veröffentlicht wurden. Von August bis September 2011 wurden die Zeichnungen im Kunsthaus Sans Titre in Potsdam ausgestellt. 2011 veröffentlichte Walther König den Band „Jena, Düsseldorf“.

wer wie ich noch nie zuvor von dieser künstlerin gehört hat kann hier noch etwas genaueres erfahren (und sehen).

mir persönlich macht es nichts aus, älter zu werden. nur mit anzusehen, wie die floskeln unserer grosseltern nach und nach das floskelrepertoire meiner freunde und zeitgenossen erobern erschreckt mich in letzter zeit immer öfter. „kommt mir vor als wärs gestern gewesen“, „wie die zeit vergeht“ oder “wir sind ja auch nicht mehr die jüngsten”. seit wann sagt man sowas schon mit anfang vierzig?
man ist doch nur so alt wie man sich fühlt!